Die Heimordnung
für das Sonderheim
für soziale
Betreuung in der
Riebeckstraße 63
01 MAR 2021
Ab 1954 wurde ein Heim für soziale Betreuung in der Riebeckstraße 63 eingerichtet.[1] Diese Heime wurden ab Mitte der 50er Jahre in der DDR gegründet und waren die Nachfolger der Arbeitshäuser. Die Umbenennung erfolgte bewusst, um die negative Konnotation mit den Arbeitshäusern zu brechen.[2]
In den Heimen sollten volljährige Personen untergebracht und betreut werden. Die meisten Personen, die dort eingewiesen wurden, waren vorher wegen „Landstreicherei“, Bettelei, Arbeitsverweigerung oder Prostitution verurteilt worden. Oft wurden Frauen nach einem Zwangsaufenthalt auf einer geschlossenen Venerologischen Station, wo Frauen mit Verdacht auf Geschlechtskrankheiten zwangseingewiesen und zwangsbehandelt wurden, in den Heimen interniert.[3] Den Großteil der Eingewiesenen in die Heime für soziale Betreuung machten Frauen aus, die oft als „HwG- Personen“ (häufig wechselnder Geschlechtsverkehr) geführt wurden.[4] In den 60er Jahren wurden dann ausschließlich Frauen in den Heimen untergebracht.[5]
Ab 1961 ließ der Staat die Heime für soziale Betreuung in der ganzen DDR schließen, da nur noch wenige Personen eingewiesen wurden.[6] In diesem Zeitraum wurde vermutlich das Sonderheim für soziale Betreuung in der Riebeckstraße eingerichtet, das als Nachfolgeheim des Heims für soziale Betreuung angesehen werden kann.[7] Allerdings bedarf es hier weiterer Forschung, um diesen Sachverhalt zu klären.
Im Stadtarchiv Leipzig finden sich zwei Heimordnungen für das Sonderheim für soziale Betreuung, die nähere Auskunft über den Zweck des Heimes und den Alltag dort geben. Die erste Heimordnung ist nur zwei Seiten lang und ist zeitlich nicht einzuordnen, allerdings ist zu vermuten, dass sie vor der zweiten Bestand hatte. Die zweite, die im Folgenden vorgestellt wird, ist mit sechs Seiten weit ausführlicher und trat am 1. August 1968 in Kraft.
Zu Beginn der Heimordnung wird die Aufgabe des Heimes genannt. Diese sei es u.a., „die Heimbewohner durch produktive Arbeit, durch politische und kulturelle Betreuung zu Persönlichkeiten zu entwickeln, an ein geordnetes Leben zu gewöhnen, […] [und] zum kollektiven Denken und Handeln zu erziehen […].“[8] Deutlich steht dabei im Vordergrund der Gedanke der „Erziehung durch Arbeit“, diese auch als „Arbeitstherapie“ bekannte Maßnahme fand auch in anderen Heimen des Heimsystems der DDR statt.
In der Heimordnung waren folgende Punkte ausgewiesen: Allgemeine Grundsätze, die Aufnahme im Heim, Heimausschuss und Küchenkommission, Arbeit, Unterhaltskosten und Taschengeld, gesundheitliche Betreuung, die Ordnung im Heim, der Tagesablauf, Ausgang und Urlaub, Erziehungsmaßnahmen, Beschwerden sowie Entlassungen.
Aufgenommen wurden nur volljährige Personen, die durch ein Gerichtsurteil eingewiesen wurden, „entmündigt sind und einer intensiven gesellschaftlichen Hilfe und Erziehung bedürfen“[9] oder „lebensuntüchtige Bürger“[10]. In der Heimordnung von 1968 war außerdem geregelt, dass die Bewohner_innen entsprechend ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten arbeiten mussten. Dies konnte auch in einer Arbeitsstätte außerhalb des Heimes erfolgen. Vom Arbeitsverdienst mussten die Bewohner_innen die Unterhaltskosten von 3,80 Ostmark selbst tragen. Das Gehalt wurde ihnen nicht selbst ausgezahlt, sondern auf das Konto des Heimes überwiesen. Davon erhielten die Bewohner*innen ein Taschengeld, der Rest wurde gespart und ihnen bei der Entlassung überwiesen.[11]
Der Tagesablauf war streng geregelt und die Bewohner_innen mussten ihm folgen. Es bestand kein Anspruch auf Ausgang. Dieser konnte jedoch beantragt und bei „guter Führung“ genehmigt werden. Während der Frühjahrs- und Herbstmesse war den Insass_innen laut Hausordnung der Ausgang verwehrt. Diese Vorkehrungen dienten dem Zweck, die Stadt von sogenannten „Asozialen“ „sauber“ zu halten, um u.a. im Westen ein positives Bild abzugeben. Unter dem euphemistischen Punkt „Erziehungsmaßnahmen“ finden sich Bestrafungsmethoden wie Isolierung nach der Arbeitszeit und „Unterbringung in einem Isolierraum“.[12]
Die Heimordung zeigt insgesamt Parallelen zu Abläufen in anderen Heimen auf (wie bspw. der strenge Tagesablauf oder die Bestrafungsmethoden), die Teil des Heimsystems der DDR waren, wie z.B. der geschlossenen Venerologischen Station, die sich wie das Sonderheim auf dem Gelände der Riebeckstraße 63 befand. Außerdem weist die Heimordnung Kontinuitäten – über die politischen Systeme hinweg – zu der früheren Arbeitsanstalt auf dem Gelände der Riebeckstraße 63 auf, wie die Idee von der „Erziehung durch Arbeit“.
Bettina Wilpert
Fußnoten
1. Interview mit Thomas Müller geführt von Bettina Wilpert
2. Zimmermann, Verena: Den neuen Menschen schaffen: Die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR )1945-1990), Köln: Böhlau 2004, S. 226.
3. Zimmermann, S. 227.
4. Zimmermann S. 225ff.
5. Brüning, Steffi: Prostitution in der DDR: Eine Untersuchung am Beispiel von Rostock, Berlin und Leipzig, 1968 bis 1989, Berlin: be.bra wissenschaft verlag 2020, S. 60.
6. Brüning, S. 60.
7. Interview Müller
8. StAL: HsozB, Nr. 788, Bl. 56f.
9. StAL: HsozB, Nr. 788, Bl. 56.
10. Ebd.
11. StAL: HsozB, Nr. 788, Bl. 56ff.
12. StAL: HsozB, Nr. 788, Bl. 58f.